Zwei sehr italienische geprägte Spassmacher. Durchaus funktional wecken sie dennoch Emotionen. Der Test-Drive mit dem Fiat Grande Panda und dem Abarth 600e schafft ein bleibendes Erlebnis.
Text | Bilder Patrick Hellmüller
Klar, dahinter steckt Kalkül. Die Early Adopters fahren längst elektrisch, doch nun stockt der Absatz von E-Autos. Zusätzlich setzt asiatische Konkurrenz den europäischen Herstellern zu. Die eigene Geschichte ist da ein gewichtiger und erfolgsversprechender Trumpf, um neue Kundinnen und Kunden für die Elektromobilität zu begeistern – Fiat hat es mit dem 500e vorgemacht. Renault zieht mit R5 und R4 nach. Tatsächlich fliegen den Retro-Stromern die Herzen nur so zu. Grund genug, die elektrische Retro-Charme-Offensive fortzusetzen – mit dem Fiat Grande Panda Abarth 600e.
Allerdings – und das wissen wir seit dem letzten Boom in den Nullerjahren ist Retro-Design ein schmaler Grat. Wir erinnern uns an Modelle wie New Beetle und PT Cruiser. Entsprechend sind wir gespannt, ob uns die beiden Stellantis-Neulinge überzeugen werden. Eingeladen hat die Schweizer Importeurin Astara. Treffpunkt ist das neuenburgische Lignières. Dort nehmen wir nach einer kurzen, aber herzlichen Begrüssung unsere Fiat Grande Panda in Empfang – alle in leuchtendem Limonengelb.
Die erste Überraschung ist der Zündschlüssen. Ja, ein Schlüssel im klassischen Sinn, wie er analoger nicht sein könnte. Nach all den hauchdünnen Kärtchen und kunstfertigen Miniskulpturen, die man mitunter braucht, um moderne Autos aufzuschliessen und zu starten, ist dieser Schlüssel ein echtes Statement. Vertrauenserweckend obendrein, und das nicht nur für Elektroskeptiker und -neulinge.
Wir drehen also den Zündschlüssel und wählen anschliessend die Fahrstufe per Knopf in der Mittelkonsole – los gehts! Mitten durch den Neuenburger Jura, sogar ein Fuchs kreuzt unseren Weg. Auf den schmalen Strassen über den Col du Chasseral fällt uns das solide Fahrwerk auf – selbst auf diesen schlechten Strassen bietet das Auto einen anständigen Komfort. Die 113 PS ermöglichen souveränen Vortrieb, der Elektropunch hält sich allerdings in Grenzen.
In besonderem Masse interessiert uns das Interieur. Der strenge Ansatz «Form Follows Function» hat die erste Panda-Generation unsterblich gemacht. Dem Neuen nehmen wir diesen Anspruch nicht ab. Zu verspielt haben sich die Fiat-Designer hier verwirklicht. Aber das ist nicht negativ – im Gegenteil. Die Designmaxime scheint nun «Form Follows Emotion». Denn bei einem Retro-Stromer sind viele kleine Überraschungen mehr als Kür, sie gehören sozusagen zum Fahrzeugkonzept.
Drei Ovale prägen das Cockpit. Eines an der Mittelkonsole, eines über die gesamte Cockpitbreite und eines, das die beiden Displays umfasst. Diese Ovale erinnern an die ikonische Fiat-Teststrecken auf dem Dach des Turiner Lingotto-Werks. Zur Verdeutlichung haben die Designer sogar die Silhouette eines klassischen Panda ins Display integriert. Vielleicht an der Grenze zum Kitsch – aber uns hat das Detail dennoch gefallen.
Humor bewiesen die Designer auch beim oberen Handschuhfach, das aus Bambusfasertextil gefertigt ist. Eine Anspielung auf das Lieblingsessen des namensgebenden Säugetiers, des Pandas. Die Sitzpolster nehmen das Karomuster auf, welche bereits die Sitze des Ur-Panda zierten. Im Neuen ist zudem ein gestickter Schriftzug angebracht: «PANDA MADE WITH LOVE IN FIAT». «…IN FIAT», nicht «…BY FIAT» – eine feinsinnige Anspielung auf den Ursprung des Markennamens: Fabbrica Italiana Automobili Torino. Auch wenn der Grande Panda nicht in Torino, sondern im serbischen Kragujevac vom Band rollt.
Ja, das Kalkül der Fiat-Designer geht auf. Diese Details lassen uns schmunzeln und sorgen für gute Stimmung. Damit sind wir beim Wichtigsten. Fiat ist es gelungen, dem Grande Panda das fröhliche Wesen des Ur-Panda mitzugeben. Als wir mit unserem limonengelben Tross durch La Chaux-de-Fonds fahren, winken uns einige Jugendliche fröhlich zu.
Bei La Semeuse, einer der ältesten Kaffeeröstereien der Schweiz, legen wir eine Pause ein. Zeit, um das Aussendesign zu studieren. Auch hier steht Emotion vor Funktion. Dabei überrascht das stark architektonisch geprägte Design – wie im Interieur sehen wir uns ans Lingotto-Gebäude erinnert, insbesondere an die geometrischen Fensterfronten. In den C-Säulen erzeugen schwarze, quadratische Elemente einen 3D-Effekt. Je nach Blickwinkel erscheint der Schriftzug FIAT oder die vier parallelen Balken des 1980er-Jahre-Logos. Diese Balken tauchen auch in den Kunststoffelementen am Heck und über den Radkästen auf.
Nach kräftigen Espressi von La Semeuse steuern wir das Hôtel Palafitte in Neuenburg an. Damit sind wir bereits beim nächsten Highlight. Die luxuriösen Hotel-Bungalows stehen auf Stelzen im Neuenburgersee und sind damit architektonisch ähnlich spektakulär wie das Lingotto-Werk. Von der privaten Terrasse lässt sich eine Leiter hinunterklappen, um im See schwimmen zu gehen. Eine Einladung, die einige Panda-Fahrerinnen und -Fahrer gerne annehmen, obwohl die Wassertemperatur bei kühlen 16 Grad liegt. Bei einem hervorragenden Nachtessen mit Blick auf den See lassen wir den Tag ausklingen.
Am nächsten Morgen steuern wir direkt Lignières an. Das TCS-Fahrzentrum beheimatet die einzige Rennstrecke der Schweiz. Zeit für einen Fahrzeugwechsel! Die elektrischen Skorpione stehen bereit. Schnell fühlen wir uns wohl in den Sportsitzen von Sabelt. Der Abarth 600e Scorpionissima ist die limitierte Spitzenversion des 600e mit 280 statt 240 PS. Dank mechanische Torsen-Sperrdifferenzial bringt er die Leistung sauber auf den Boden. Zwei Instruktoren führen uns durch den Vormittag. Zum Abschluss winkt eine Viertelstunde freies Fahren auf dem Rundkurs. Messer zwischen die Zähne und Vollgas, das denken sich die anwesenden Motorjournalistinnen und -journalisten, der Autor inklusive. Der Skorpion hat sein Gift entfacht – das Rennfieber ist ausgebrochen. Beeindruckend, wie souverän der Scorpionissima über den Rundkurs wuselt. Selbst unter Extremsituationen reagiert das Auto stets kontrollierbar – und macht dabei grossen Spass. Ein Machtwort per Funk bringt schliesslich die Erlösung für die überhitzten Bremsen. Zwei langsame Abkühlrunden. Fazit: Während uns der Abarth 500e zu zahm erschien, zeigt der 600e seinen Giftstachel. Trotzdem haben wir das dramatische Konzert der Record-Monza-Auspuffanlage früherer Abarth-Kanllbonbons vermisst!
Stellantis bringt mit Grande Panda und Abarth 600e zwei echte Spassmacher an den Start. Beim Panda scheint der Höhenflug sicher. Ob auch eingefleischte Abarth-Fans auf Elektropower abfahren, wird sich zeigen. Der Spassfaktor jedenfalls ist – typisch Abarth – erfreulich hoch.
Fiat Grande Panda Elektro LA PRIMA
CHF 28’490.–
Elektroantrieb, 113 PS
Höchstegeschwindigkeit: 132 km/h
0–100km/h: 11,5s
Reichweite WLTP (elektrisch): 320 km
Abarth 600e Scorpionissima
CHF 51’900.– (Turismo ab CHF 46’900.–)
Elektroantrieb, 280 PS
Höchstegeschwindigkeit: 200 km/h
0–100km/h: 5,9
Reichweite WLTP (elektrisch): 322 km