GT À LA FRANÇAISE

Die A310 von Alpine war die französische Antwort auf den 911: Prägnantes Design, kräftiger V6 und ein rennsporterprobtes Fahrwerk. Alles, was es in den 1970er-Jahren brauchet, um den Sportwagenmarkt aufzuwirbeln. […]

Die A310 von Alpine war die französische Antwort auf den 911: Prägnantes Design, kräftiger V6 und ein rennsporterprobtes Fahrwerk. Alles, was es in den 1970er-Jahren brauchet, um den Sportwagenmarkt aufzuwirbeln. Oder nicht?

Text | Fotos Patrik Hellmüller

Die Alpine A310 war eine Kampfansage. Siehatte das Rüstzeug, um den Sportwagenmarktaufzurütteln. Trotzdem ist ihr der ganz grosse Coup nicht gelungen. Selbst heute hat sie als Klassiker nicht den Platz gefunden, der ihr eigentlich zustünde. Was sind die Ursachen? Auf zur Spritztour mit einer A310 V6 von 1978. Doch zuerst werfen wir einen Blick zurück in die Entstehungsgeschichte.

Alpine A310Ende der 1960er- und Anfang der 1970er-Jahre war Alpine mit der legendären A110 sehr erfolgreich im Rallyesport unterwegs. Die Franzosen holten manch prestigeträchtigen Sieg nach Hause. Gleichzeitig arbeitete Alpine an einem neuen Modell, der A310. Diese war – das ist ein noch heute verbreitetes Missverständnis – keinesfalls als Nachfolgerin der A110 gedacht. Vielmehr wollte Alpine mit der A310 die Modellpalette abrunden und die Stückzahl erhöhen – schon allein aus wirtschaftlichen Überlegungen.

Dem kompromisslosen Sportgerät A110 sollte ein GT zur Seite gestellt werden, mit dem lange Fahrten genauso schnell, aber wesentlich komfortabler zu bewältigen waren als mit der kleinen und eng sitzenden A110. Ein Pendant zum Porsche 911, der sich damals zunehmend besser verkaufte, weil er jederzeit von der Strasse auf die Rennstrecke und zurück wechseln konnte.

Alpine A310Die Idee für die A310 wurde 1968 ersonnen – der Legende nach unter konspirativen Umständen in der Küche von Alpine-Gründer Jean Rédélé. Auch das 1969 gefertigte Gipsmodell für den neuen Sportwagen soll, der Geheimhaltung wegen, das Haus von Rédélé nicht verlassen haben. Später wurden die Prototypen meist nachts in geschlossenen Transportern zur Teststrecke gebracht, dem ausgedienten Militärflugplatz Saint Valery en Caux in der Nähe von Dieppe. Der Aufwand zahlte sich aus, es drangen kaum Informationen zum neuen französischen Sportwagen an die Öffentlichkeit.

DESIGN BEGEISTERT, VIERZYLINDER ENTTÄUSCHT

Entsprechend gross waren Überraschung und Begeisterung 1971 bei Presse und Publikum. Die A310 wurde am Genfer Automobilsalon präsentiert. Die von Michel Beligond und Yves Legal meisterhaft futuristisch gezeichnete A310 zog die Blicke auf sich und traf den Nerv der Zeit. Überlieferungen zufolge soll sogar der nicht als besonders zugänglich geltende Automobilunternehmer Alejandro De Tomaso gesagt haben: «In Frankreich kann man sehr schöne Autos bauen.»Alpine A310

Alpine A310Während das Design für Begeisterung sorgte, verbarg sich die Enttäuschung unter der Haube: Im Heck der A310 steckte ein Vierzylindermotor. Und das, obwohl sie preislich beim Porsche 911 S angesiedelt war. Porsche jedoch hatte mit seinen Sechszylindern bei der Kundschaft längst einen Siegeszug angetreten. Rédélé hatte für seinen Sportwagen ursprünglich ebenfalls einen Sechszylinder vorgesehen – den PRV-V6 aus dem Entwicklungskonglomerat von Peugeot, Renault und Volvo. Jedoch zog
sich dessen Entwicklung in die Länge. Entsprechend sah er sich gezwungen, den besten verfügbaren Motor zu nehmen, den von der A110 übernommenen Gordini-Motor mit 1,6 Litern Hubraum. Damit standen anfänglich überschaubare 115 PS zur Verfügung. Ab 1973 ging die A310 SI dann mit elektronischer Einspritzanlage und 124 PS in den Export.

ENDLICH – DER V6 KOMMT!

Die Notlösung mit dem Vierzylinder bremste Alpine bei der Lancierung aus. Dazu kamen bei der A310 Qualitätsprobleme, und die Autos mussten ins Werk zurückgerufen werden. Eine Folge der schnellen, fast überstürzten Markteinführung, da sich Alpine in finanzieller Schieflage befand. Eine weitere Widrigkeit war die Ölkrise von 1973, die allgemein den Sportwagenabsatz bremste. Eine Verkettung verschiedenster Umstände, die den Erfolg der A310 massgeblich behindert haben.

Alpine A310Erst Anfang 1975 gaben die Ingenieure von Peugeot, Renault und Volvo grünes Licht für ihren neuen V6. Um diesen in der A310 unterzubringen, mussten im Heck alle Motoraufhängungen neu angebracht werden. Zudem erhielt die GfK-Karosserie ein Facelift mit kleineren Scheinwerfern. Diese hatten nur noch vier anstatt sechs Einzelleuchten, kamen jedoch wie bisher vom Zulieferer Cibié, der bereits die charakteristischen Scheinwerfer des Citroën SM verantwortet hatte. Vor der Windschutzscheibe entfielen die Lufteinlässe, und das Heck wurde durch eine Spoilerlippe abgeschlossen. Mit 150 PS aus 2,7 Litern Hubraum stand die A310 V6 ab 1976 bei den Händlern. 1977 nahm Alpine dann die veraltete A110 aus dem Programm. Dadurch beschränkte sich die Modellpalette wieder auf ein Modell.

NOCH HEUTE EIN GUTER GT

Die hier gezeigte Alpine hat Jahrgang 1978. Sie ist an den Rädern mit den drei Schlitzen als frühe V6-Variante zu erkennen. Sie gehört Christian Hartmann, in dessen Garage so manches Juwel steht. Darunter auch der eine oder andere Sportwagen neueren Datums. Das sei nur erwähnt, um zu untermauern, dass es Christian nicht an Vergleichsmöglichkeiten mangelt: Für ihn ist die A310 fahrerisch eines der tollsten Autos, dass er je besessen hat.

Entsprechend hat er zu seiner A310 eine besondere Beziehung. Das merkt man, wenn Christian sie bewegt. Fahrer und Auto verschmelzen zum eingespielten Team. Die zwei sind schon lange miteinander unterwegs, Christian besitzt das Auto seit mehr als 20 Jahren. Er hat damit mehrmals Frankreich durchquert und ist sogar über die Rennstrecke Circuit du Var im südfranzösischen Le Luc gebraust.

Alpine A310

Genau das macht die Alpine A310 aus. Man kann einsteigen und nach Südfrankreich aufbrechen. Dank des mustergültigen Fahrverhaltens kann man die lange Strecke souverän und schnell zurücklegen – und völlig entspannt ans Ziel kommen. Im Alltagsverkehr ist die A310 für einen Heckmotorsportwagen eine komfortable Begleiterin und bügelt Fahrbahnunebenheiten anstandslos weg. Wer will, kann das Alpine-Fahrwerk aber auch ausreizen und erstaunliche Kurvengeschwindigkeiten auf einer Passtour realisieren. Christian: «Alpine hat die Balance zwischen Reise- und Sportwagen perfekt austariert.» Das glauben wir sofort. Für unsere Fotos lässt Christian seine A310 einige Male gekonnt um die Ecken fliegen.

KNOW-HOW VON DER A110

Alpine A310Beim Fahrwerk hat Alpine auf das erprobte Konzept der A110 zurückgegriffen und den Zentralrohrrahmen übernommen. Der Radstand der A310 ist identisch mit dem der A110 GT4. Wie bei den früheren Modellen ist der Motor hinter der Hinterachse verbaut. Neu sind die Doppelquerlenker an der Hinterachse. Zudem verfügen beide Achsen über einen Stabilisator und Schraubenfedern. Wenn die Feinabstimmung des Fahrwerks im Lot ist, überzeugt eine A310 bei hoher Geschwindigkeit mit einem mustergültigen Fahrverhalten. Das auch dank der idealen Gewichtsverteilung: Reserverad, Tank und Wasserkühler befinden sich im Bug des Sportwagens. Im Gegensatz zum A310-Konzept stand die Entwicklung des PRV-V6. Der war nicht für einen Sportwagen, sondern vor allem für gehobene Limousinen vorgesehen. Trotzdem macht er seine Sache in der A310 sehr gut. Zylinderkopf und Motorblock bestehen aus Aluminium, die nassen Laufbuchsen aus Schleuderguss.

Pro Zylinderbank gibt es eine kettengetriebene, obenliegende Nockenwelle, welche die v-förmig hängenden Ventile über Kipphebel betätigt. Dank Drehmoment bei tiefen Drehzahlen ist die leichte A310 spurtstark. Drehorgien sind indes weniger die Domäne des V6 – die sind aber auch gar nicht nötig. Der hinkende Klang des PRV-V6 ist auf die ungewöhnliche Zündreihenfolge 1–6–3–5–2–4 zurückzuführen. In der Alpine klingt der Motor unter Volllast kernig kraftvoll, sonst gibt er sich dezent.

TYPISCHE DESIGNSPRACHE

Alpine A310Das Interieur überzeugt einerseits mit liebevollen Details wie den sorgfältig ausgearbeiteten Instrumenten oder dem Lenkrad, welches das Drei-Schlitz-Design der Felgen aufnimmt. Auch das typisch französisch-plüschige Interieur gefällt mit Wohlfühlambiente. Nicht zuletzt dank der Sitze, die dem Renault Fuego entnommen wurden. Andererseits gibt es da und dort recht rudimentär ausgeführte Schalter, die man eher einem Versuchsfahrzeug als einem gehobenen GT zuordnen würde. Auch die Materialien scheinen teilweise willkürlich zusammengewürfelt, dazu kommt eine Detailverarbeitung, die zu wünschen übriglässt.

Wer aber je eine A310 gefahren ist, wird sich an solchen Details nicht stören. Denn zum Nimbus gehört neben Leichtbau eben auch ein Quäntchen Improvisationskunst. Alles in allem ist die A310 ein wunderbarer GT, der sich nicht hinter dem deutschen Vorbild verstecken muss. Nicht, was die Ingenieurskunst und erst recht nicht, was das Design anbelangt.

Alpine A310

Ja, das Design – wir müssen das zum Schluss anmerken! Es wurde viel zu selten gewürdigt. Die A310, gerade in der frühen schnörkellosen Variante, ist noch heute eine Offenbarung. Das zeigt sich, als wir das Auto fotografieren und uns fast nicht mehr vom Anblick lösen können. Aus jeder Perspektive überzeugen die messerscharf ausgeführten Linien der Alpine, spannungsgeladen und in ihrer Gesamtheit trotzdem harmonisch – fast fühlen wir uns an eine kubistische Skulptur erinnert.

Alpine A310Dass in den 1980er-Jahren ausgerechnet dies meisterhafte Design häufig für abenteuerliche Tuningexperimente herhalten musste, ist aus heutiger Sicht nicht nachvollziehbar. Selbst Alpine, seit 1978 komplett unter dem Dach von Renault, hat die A310stetig verbreitert und Karosseriekits angeboten, was ihr Aussehen nicht unbedingt verbessert hat. Erst mit dem Nachfolgemodell A610 fand man wieder zu einer schlichten Eleganz zurück. Was wir nicht unerwähnt lassen wollen: Die A310 wurde trotz Anlaufschwierigkeiten das bis dato meistgebaute Modell von Alpine. Das reichte aber nicht, um die Eigenständigkeit des Unternehmens von Rédélé damals zu sichern. Konzernmutter Renault aber hält sein Vermächtnis am Leben.

Das zeigt die seit 2017 gefertigte Neuauflage der A110 genauso wie das Alpine-Formel-1-Team. Auch künftig hat Renault mit Alpine Grosses vor. Renault CEO Luca de Meo hat kürzlich angekündigt, Alpine zur Nobelmarke von Renault zu machen. Bis 2030 sind sieben neue Modelle geplant. Angefangen mit der Alpine A290, dem ersten Elektroauto der Marke, das sich am Design des Renault 5 Turbo orientieren soll. Man darf gespannt sein.

ALPINE A310 V6

Baujahr 1978
Motor V6, 2664 ccm
Leistung 150 PS
Drehmoment 203 Nm bei 3500 U/min
Kraftübertragung manuelles Fünfganggetriebe, Hinterradantrieb
Länge/Breite/Höhe 425/165/115 cm
Gewicht 1018 kg
Höchstgeschwindigkeit 225 km/h
Beschleunigung 7,8 s von 0 bis 100 km/h
Produktion 11’616 (davon 9276 als V6)
Preis 35’000 CHF (1978)