Mut zum Fortschritt

Mit dem Cosmo 110S entwickelte Mazda 1967 einen technischen Meilenstein:
Das Coupé wurde das erste Serienmodell mit einem Wankelmotor – in Europa gibt es nur vier Stück

Mazda 110S Cosmo

Mit dem Cosmo 110S entwickelte Mazda 1967 einen technischen Meilenstein:
Das Coupé wurde das erste Serienmodell mit einem Wankelmotor – in Europa gibt es nur vier Stück

Text: Ulrich Safferling  Fotos: Christian Böhm/Mazda

Die Welt dreht manchmal komische Runden. Und das gilt erst recht für den Wankelmotor, von dessen Existenz ich zum ersten Mal 1973 erfuhr: In dem Jugendkrimi «Das Schloss des Erfinders» wird dort ein zentrales Problem des Motors gelöst – das der Dichtleisten. Allerdings fand ich damals niemand, der mir genau erklären konnte, wie so ein Dreh- oder Kreiskolbenmotor funktioniert, der Ende der 1960er-Jahre für Furore sorgte. In der Verwandtschaft war kein Techniker präsent und bei der Familien-Marke Opel spielte das Thema keine Rolle. Aber meine Neugier war geweckt und Jahre später konnte ich selbst nachlesen, wie was zusammenhing. Und dass mein Kinderroman unglaublich dicht an der Realität gewesen war.

Im fahrfähigen Alter reichte es dann bei mir nur zum Opel Kadett B Coupé, während sich ein Freund den Mazda RX-7 gönnte. Und damit das Thema wieder aktuell wurde. Zum ersten Mal sprachen wir über ein Kammervolumen, lauschten dem surrenden Motor und wunderten uns über den enormen Verbrauch. Tempi passati. Es dauerte dann weitere 35 Jahre, bevor ich das erste Mal in einem Mazda 110S Cosmo sass und fahren konnte.

Das Auto ist klein und flach und erinnert an einen englischen Roadster der 60er. Obwohl das Dach wie ein Hardtop wirkt, kann man es nicht abnehmen. Die Rundscheinwerfer hinter Plexiglas erinnern an einen Alfa Spider, seitlich gibt es Luftkiemen. Der Grill versteckt sich unter der Stossstange, was das Auto vorn glattflächig wie einen Lotus Elan aussehen lässt. Stilistisch ein Hingucker, nur die mittig auf die Kotflügel gesetzten Aussenspiegel passen so gar nicht. Als hätte der Designer sie vergessen und nachträglich von der Werkstatt montieren lassen. Was ja ganz früher nicht unüblich war, aber hier gewöhnungsbedürftig ist.

Dafür setzt sich am Heck die vorn eingeschlagene Linie fort, endet in einer schmalen Stossstange, die sich über die Rückleuchten zieht und US-amerikanisches Design der Nach-Flossenheck-Ära zitiert. Keine Frage, das Auto ist Hingucker, Exot, Ikone oder einfach – ein Traumklassiker.

Futuristisch muss der Cosmo gewirkt haben, als die seriennahe Studie 1964 auf der 11. Tokyo Motor Show vorgestellt wurde. Als 1967 die Serienproduktion begann und zeitgleich Toyota seinen aufsehenerregenden 2000GT vom Band fahren liess, war die Rede von den ersten beiden japanischen Supersportwagen. Doch den Ruhm als «technisches Weltwunder» gehörte dem Cosmo allein: In ihm rotierte der weltweit erste serienmässige Zweischeiben-Wankelmotor. Noch vor dem NSU Ro 80 und nach dem NSW Wankel-Spider mit Einscheiben-Prinzip von 1964.

Bereits 1961 hatte Mazda mit NSU einen Lizenzvertrag über die Nutzung des Wankel-Patents geschlossen. Nicht ganz uneigennützig, um seine Position innerhalb der japanischen Auto-Industrie exklusiv zu machen und drohenden Fusionen zu entgehen. Und so wurde Mazda der weltweit erste Hersteller, der drei Konzepte – Otto-, Diesel- und Wankelmotoren – nebeneinander anbieten konnte. Und als einziger Hersteller mehr als zwei Millionen Wankel-Fahrzeuge bis heute produzierte. Was auf der einen Seite ein Verdienst ist, auf der anderen Seite aber genauso belegt, dass sonst niemand an die «Zeitenwende» glaubte, die mit dem Wankelmotor prophezeit wurde. Und die nicht mal Lizenzgeber NSU auch nur annähernd erreichen sollte.

Der Cosmo – bei den wenigen Exporten 110S genannt nach der anfänglichen Leistung des Motors – wurde zum ersten Baustein dieser Technik-Geschichte bei Mazda. Denn in Japan erreichte man die Serienreife vor allem bei den Dichtleisten. Damit hatte Mercedes beim Versuchsträger C 111 genauso Probleme wie NSU beim Ro 80, was das Vertrauen der Kundschaft in die neue Technik untergrub.

Zwar wurden vom Cosmo viel weniger Exemplare gebaut als vom NSU, aber bereits 1968 bewies der Mazda beim Langstreckenrennen «Marathon de la Route» auf dem Nürburgring seine Dauerbelastbarkeit über 84 Stunden. Die mit dem vierten Platz in der Gesamtwertung hinter zwei Porsche 911 und einer Lancia Fulvia belohnt wurde.

Nur die allerersten Exemplare hatten dabei die 110 PS, wie der Name suggeriert. Von der Serie I wurden nur 343 Stück gebaut, bevor Mazda bereits 1968 Hand an seinen Innovationsträger legte. Durch geänderte Steuerzeiten wurde aus dem Motor L10A bei gleichem Kammervolumen von 2 x 491 ccm der stärkere L10B mit 128 PS. Dazu gab es in der Serie II ein Fünf- statt Vierganggetriebe, einen verlängerten Radstand für bessere Platzverhältnisse und ein ruhigeres Fahrverhalten.

Das merkt man heute natürlich nicht, wenn man nicht beide Cosmo-Serien im Vergleich fahren würde. Immerhin dürfen wir eine Runde im 71er-Modell drehen und stellen schnell fest, zappelig ist da nichts. Aber bevor die erste Runde gefahren sein will, muss man sich zunächst in den Cosmo einfädeln. Denn er ist nicht nur klein, sondern auch mit nur 1,16 Meter sehr, sehr flach. Und so wird das Einsteigen artistisch wie bei einem Flügeltürer, in den man sich auch erst hineinfallen lassen kann, wenn die Sortierung von Beinen und Armen vorab hinreichend geklärt wurde.

Sitzt man dann endlich, ist alles gut. Sogar das ungewohnte Linksschalten im Rechtslenker funktioniert nach kurzer Zeit reibungslos, denn das voll synchronisierte Fünfganggetriebe schaltet sich fantastisch leicht und präzise. Für ein Auto aus dieser Zeit alles andere als selbstverständlich. Nur die Lenkung hat nach heutigen Massstäben ungewöhnlich viel Spiel und lässt sich fast verreissen, ohne Konsequenzen fürchten zu müssen. Man muss sich bei Lenkmanövern ein wenig in die Radien hineindenken, um die Linie halbwegs sauber zu treffen. Das Cockpit ist zwar aufgeräumt, aber der schwarze Kastenrahmen für die sieben schönen Rundinstrumente ist befremdlich. Das Holzlenkrad mit dem damaligen Markenzeichen – Spitzname «Forke» – ist griffig und sogar höhenverstellbar, es gibt sogar eine Leselampe. Prominent in der Mitte sind Tacho und Drehzahlmesser platziert: 240 km/h sind zwar reines Wunschdenken, aber der rote Bereich ab erstaunlichen 7.000/min ist durchaus realistisch. Ein 150 PS starker Mercedes 230 SL aus jener Zeit erreichte seinen Zenit bei 5.500/min.

 

Dass Hubraum durch nichts zu ersetzen sei, mag für Rekordfahrzeuge seine Berechtigung haben. Im Mazda reichen die zwei kleinen Brennkammern für ein unbeschreibliches Erlebnis an Fahrkultur. Beim Tritt aufs Gaspedal schnurrt das kleine Coupé munter los und schnurrt und schnurrt und schnurrt immer weiter. Irgendwann wird das turbinenartig laufende Triebwerk freilich laut und kreischender, was sich auch bei geschlossenen Scheiben in den Innenraum überträgt. Aber in diesem Kampfmodus muss ja nicht dauerhaft gefahren werden, wenn man nicht auf der Nordschleife unterwegs ist. Je ruhiger man es angehen lässt, um so kultivierter gibt sich der Wankelmotor und summt fast bienenartig friedlich vor sich hin.

Ob Einbildung oder nicht, es sind eben keine stampfenden Hubkolben, die auf- und abmarschieren, sondern Drehkolben, die ihre Kraft direkt an den Antrieb weiterreichen und nicht an einer Kurbelwelle herumreissen müssen. Das ist sie, die berühmte Laufruhe.

Es fährt und es fährt sich nicht schlecht. Nein, im Verhältnis zu vielen damaligen Autos fährt es sogar richtig gut. Die Federung ist komfortabel und vielleicht eine Spur zu weich, aber nicht beunruhigend bei zügiger Fahrt. Die exakte Schaltung unterstreicht den positiven Eindruck, den das spontan ansprechende und drehfreudige Motörchen hinterlässt – da kommt Fahrspass auf, so gut funktioniert dieser Antrieb, der mal eine Weltsensation war. Stimmig, so würde man das Gesamtpaket beschreiben, das Mazda da vor mehr als 50 Jahren auf die Räder gestellt hatte. Der Cosmo fährt sich handlich, der Motor gefällt mit Leistung und Laufruhe, er liegt gut auf der Strasse und fühlt sich komfortabel an. Die kühne Vision von Mazda-Chef Tsuneji Matsuda und die grossartige Leistung seines Cheftechnikers und «Rotary-Magiers» Ken’ichi Yamamoto bewiesen Mut zum Fortschritt.

Mazda 110S Cosmo

Baujahr: 1967-1972
Motor: 2 x 491 ccm, Zweischeiben-Wankel, Vergaser
Leistung: 128 PS bei 7000/min (1. Serie: 110)
Drehmoment: 140 Nm bei 3500/min (130)
Kraftübertragung: Manuelles Vierganggetriebe, Hinterrad
Länge/Breite/Höhe: 4.40 x 1595 x 1.65 mm
Gewicht leer (kg): 940 (930)
Verbrauch: 14,5 l/100 km
Vmax: 200 (193) km/h
0-100 km/h (s): 8,8 (9,3)
Bauzeit (Modell): 1967 – 1972
Produktion: 1176
Neupreis: kein Verkauf in der CH