Souverän durch Eis und Schnee

Erstmals verfügt ein Maserati Coupé über Vierradantrieb. SPIRIT erlebte mit dem Gran Turismo Trofeo einen Trip durchs winterliche Vallée de Joux. Text Patrik Hellmüller | Fotos Patrik Hellmüller, Maserati Es liegt […]

Erstmals verfügt ein Maserati Coupé über Vierradantrieb. SPIRIT erlebte mit dem Gran Turismo Trofeo einen Trip durchs winterliche Vallée de Joux.

Text Patrik Hellmüller | Fotos Patrik Hellmüller, Maserati

Es liegt Schnee, die mächtigen Fichten des Risoud-Waldes sind weiss bedeckt. Gerade fängt es wieder an, zu schneien. Die Temperatur liegt um den Gefrierpunkt. Kaum jemand ist auf den Strassen unterwegs, die sich durch den mächtigen Wald, der natürlichen Grenze zwischen dem Waadtländer Jura und Frankreich, schlängeln. Man wähnt sich weit weg und trotzdem wohlbehütet, solange sich das Auto wie ein Kokon um einen schmiegt.

Die Waldlandschaft oberhalb des Lac de Joux auf 1250 Meter über Meer ist einmalig. Der Bergkamm ist wenig besiedelt und die Fichten wachsen der tiefen Temperaturen und des kargen Bodens wegen besonders langsam. Einige sind mehrere hundert Jahre alt. Kein Wunder, dass diese mystische Gegend Nährboden für zahlreiche Legenden ist. Manche Geschichten aber sind wahr. So tauschten im Schutz des Waldes während des Zweiten Weltkriegs Spione wichtige Informationen aus. Zudem überquerten hier Flüchtlinge die Grenze zur Schweiz und entkamen so der Deportation. Ehrfurcht überkommt uns.

Moderner Sechszylinder

Unterlegt mit einem satten, nie lauten Bass beschleunigt der Maserati Gran Turismo Trofeo aus den Kurven heraus. Quell der Freude ist das moderne Nettuno-Triebwerk, das dem Supersportwagen MC20 entnommen wurde und die bisherigen Achtzylinder ersetzt. Der Drei-Liter-Sechszylinder verfügt über eine 90-Grad-V-Architektur und zwei Turbolader. Im Trofeo leistet er 550 PS. Ein Highlight des komplett bei Maserati entwickelten Motors ist das Vorkammerverbrennungssystem mit Doppelzündung. Diese Technologie stammt aus der Formel 1 und kommt erstmals auf die Strasse. Sie sorgt für ein mustergültiges Ansprechverhalten unter Volllast und reduziert den Benzinverbrauch bei niedriger Tourenzahl.

Was besonders auffällt, ist der dezente, aber satte Klang. Während frühere Maserati-Motoren mit wahren Orchesterorgien begeisterten – ja, sich so schön dirigieren liessen, dass das Vorwärtskommen fast zu Nebensache wurde – untermalt der Nettuno seine brachiale Leistung mit akustischem Understatement. Wir können uns des Eindrucks nicht erwehren, dass Maserati dem V6 einen V8-Cruiser-Sound antrainiert hat – oder diesen wenigstens im Innenraum versprüht. Das mag irritieren, passt aber gut zu unserem Trip durch den Risoud-Wald. Es wäre schon fast deplatziert, die winterliche Harmonie lärmend zu stören.

Mittlerweile ist die Fahrbahn von Schneematsch bedeckt. Kein Problem für den Maserati, mit dem Vierradantrieb vermittelt er trotz zügiger Fahrweise ein sicheres Gefühl und überzeugt mit einem ungekünstelten Kontakt zur Fahrbahn. Bei mutigem Durchtreten des Gaspedals greift die Elektronik mit schützender Hand ein. Beim Gran Turismo ist der Name Programm. Es handelt sich um einen Reisesportwagen, der mit seiner unbändigen Kraft bei forscher Fahrweise zwar unglaublich Spass macht, sich aber genauso für zügig komfortables Gleiten eignet – selbst unter widrigen Wetterverhältnissen.

Lustvolle Proportionen

Wir hätten ewig weiter durch den Wald streifen können, doch Appetit bringt uns dazu, Les Brassus anzusteuern. Es lichtet sich nicht nur der Wald, sondern auch die Wolkendecke. Wir entschliessen uns zu einem Fotostopp und lassen die betörenden Proportionen des Gran Turismo wirken. Dem matten Grigio Maratea standen wir bei der Fahrzeugübernahme skeptisch gegenüber, doch umgeben von der weissen Winterlandschaft, im blassen Licht schimmernd, offenbart der Farbton seine Qualität. Der Gran Turismo wirkt wie eine grafitfarbene Skulptur – Balance haltend zwischen graziler Eleganz und muskulöser Entschlossenheit.

Wann hat man das letzte Mal derart lustvoll geschwungene Kotflügel in Verbindung mit geradezu verschwenderischen Proportionen gesehen? Wir fühlen uns an GT-Ikonen der 1950er- und 1960er-Jahre erinnert. Dazu gekonnt gesetzte Effekte wie die Lufteinlässe an der Flanke oder zwischen Schnauze und Motorhaube. Oder die harmonisch integrierten Scheinwerfer, deren Leuchtelemente die Fahrzeuglinien aufnehmen und weiterführen. Natürlich dürfen die grosszügig verteilten Dreizacke – Erkennungszeichen der Modeneser Fahrzeugschmiede – im und am Fahrzeug nicht fehlen.

Wie für alle Sportwagenhersteller muss Maserati den Spagat aus Sportwagen-Tradition und Antriebs-Moderne schaffen. Schon im neuen Maserati-Showroom in Zürich war uns der Gran Turismo Folgore aufgefallen. Der unterscheidet sich optisch kaum von unserem Testwagen, verfügt aber über Elektroantrieb und zusätzliche 210 PS. Damit schafft dieser italienische GT den Sprung in die CO2-freien Mobilität. Trotzdem macht sich Wehmut breit, Autos wie unseren Testwagen wird es neu nicht mehr lange geben. Er ist Speerspitze des klassischen GT mit Verbrennungsmotor. Nach dieser Erkenntnis geniessen wir die Kilometer nach Les Brassus sehr bewusst.

Keimzelle der Uhrenindustrie

Wie unser Maserati vereint der Ort Les Brassus zwei Welten. Einerseits ist dieser seit Jahrhunderten von der Landwirtschaft geprägt, andererseits ist Les Brassus eine Keimzelle der Schweizer Uhrenindustrie. Die Bauern haben dabei eine wichtige Rolle gespielt. Sie waren es, die Ende des 18. Jahrhunderts während der langen Wintermonate begannen, in den hellen Dachgeschossen ihrer Höfe ihren Tag mit Uhrmacherarbeiten zu verbringen. Schon bald verwandelten sie ihre Bauernhäuser in gut ausgestattete Werkstätten für die Anfertigung von Uhrenkomponenten wie Rädchen, Brücken oder Federn. Das eng geknüpfte Netz handwerklich tätiger Familien, das sich in dieser Region entwickelte, brachte einige der komplexesten Uhrenmechanismen aller Zeiten hervor.

So erstaunt es nicht, dass das Dorf heute nicht nur die Zentrale der regionalen Käsereigenossenschaft beherbergt, sondern zudem ein Werk von Audemars Piguet, dem bekannten Hersteller von Schweizer Luxusuhren. Schliesslich ist Les Brassus der Geburtsort der Marke. Die Uhrenmacher Jules Louis Audemars und Edward Auguste Piguet hatten hier 1875 ihre Werkstatt eröffnet. Der bekannten Uhrenmarke verdankt der Ort seine zwei herausragendsten Gebäude. Zum einen das spiralförmige Musée Atelier Audemars Piguet und zum andern das 2022 eröffnete Hôtel des Horlogers.

Die Architektur der beiden Gebäude verneigt sich vor der Uhrenmacherkunst aber auch vor der Landschaft des Vallée de Joux. Entsprechend fügt sich das Gebäude-Ensemble stimmig ins Dorf ein. In der Hotelbar, der Bar des Horlogers, stärken wir uns mit einem Lunch. Man ist hier sehr stolz darauf, dass fast ausschliesslich lokale Produkte verarbeitet werden, Nachhaltigkeit wird grossgeschrieben. Der Kellner erklärt uns, dass das Hôtel des Horlogers als eines von wenigen Schweizer Herbergen Minergie-Eco-zertifiziert sei.

Finale hinterm Pass

Frisch gestärkt erklimmen wir mit dem Maserati den Col du Marchairuz, den Jurapass oberhalb von Les Brassus. Als wir die Passhöhe erreichen, fängt es wieder heftig an zu schneien, ohne dass uns das Sorgen bereiten würde. Der GT ist tatsächlich ein Reisewagen für alle Fälle. Ingenieurtechnisch wie in puncto Design eine Meisterleistung wie die Uhren aus Les Brassus. Und als unvermeidliche Parallele preislich ebenso in einem Segment angesiedelt, das Exklusivität gewährleistet. Der Startpreis des Gran Tursimo Trofeo liegt bei 250’000 Franken. Der Startpreis für eine Uhr von Audemars Piguet, so haben wir in Les Brassus erfahren, soll bei knapp 40’000 Franken liegen – fast ein Schnäppchen.

Nach dem wunderbaren Trip durch die Winterlandschaft des Waadtländer Jura fahren wir entlang des Lac de Joux zurück nach L’Abbaye. Es fällt uns schwer, dieses Tal mit seinem melancholischen Winterzauber hinter uns zu lassen. So verzögern wir den Abschied mit einer heissen Tasse im Tea Room Sur les Quais, wo man uns herzlich empfängt. Draussen setzt die Dämmerung ein und das Grigio Maratea unseres Maserati vereint sich langsam mit dem Gris Valéé de Joux.

Motor Nettuno 3.0 V6 Bi-Turbo
Leistung 550PS
Drehmoment 650 Nm bei 3000 U/min
Kraftübertragung 8-Gang Automatikgetriebe
Länge/Breite/Höhe 4966mm/1957mm/1353 cm
Gewicht 1795 kg
Höchstgeschwindigkeit 320 km/h
Beschleunigung 0–100 km/h: 3,5 Sekunden
Preis Ab CHF 250’100.–